Eine Weihnachtsgeschichte

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A Christmas Carol

Einhörner und Finnen in Ketten

Am Montag den 23.12. sitzt der Unternehmer Evan Zacharias Scrooge in seinem Büro nahe Detroit. Der Gründer der Firma Nuts&Bolts, den alle in der Firma ehrfürchtig nur E.Z. nennen, hat mit der patentierten Power-Nut ein Verbindungssystem auf den Markt gebracht. Vor allem dank Aufträgen aus der Automobilindustrie ist sein Unternehmen über die letzten Jahre stetig gewachsen und mittlerweile international tätig.

Evan erwartet gerade seinen Neffen Albert Einhorn. Der war vor einigen Jahren nach Deutschland ausgewandert, um dort mit seinen deutschen Freunden ein Unternehmen zu gründen. Heute schickt er grüne Busse durch die Gegend und hat auch in Züge investiert. Im grünen Weihnachtspulli, das ein Einhorn mit einem Weihnachtsschlitten ziert, betritt Albert das Büro.
“Hey Onkel, na wie geht’s?”
“Ach naja. Die Geschäfte schwächeln etwas. Habe meinen Mitarbeitern erstmal das 13. Monatsgehalt gestrichen. Vielleicht arbeiten sie dann auch mal wieder etwas härter. Und bei dir?”
“Ich kann absolut nicht klagen. Erst kürzlich haben wir eine neue Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen. Mit den 500 Millionen Euro können wir jetzt neben Bussen und Zügen auch Mitfahrservices anbieten. Ein nächster großer Schritt auf dem Weg zur Mobilitätswende.”
“Ach hör doch auf. Das ist doch alles Humbug. Warte mal ab, wenn sich der Klima-Hype legt. Dann kaufen auch wieder alle fleißig Autos. Dann könnt ihr einpacken mit Euren Bussen und Mitfahrdienst.”
“Wenn du meinst Onkel! Kommst du morgen Abend mit in die Kirche und zum Abendessen?”
“Lass gut sein. Ich habe keine Lust auf feierliches Vernichten von wertvoller Produktivität. Ich mache mich lieber über unsere Zahlen und suche nach Einsparpotentialen.”
“Allright Onkel. Take it easy! Nimm wenigstens den Sechserpack Bier, den ich dir aus Deutschland mitgebracht habe.”

Kaum hat der Neffe hat das Büro verlassen, klingelt das Telefon.
“Hallo hier ist Saeed von Plug and Pray, spreche ich mit Mr. Scrooge? Haben Sie kurz Zeit mit mir über Innovation zu sprechen?”
“Plug and Pray, was soll das sein? Zeugen Jehovas?”
“Nein Sir. Wir sind eine Innovationsplattform und helfen Unternehmen wie Ihrem, gemeinsam mit Startups die eigene Innovationskraft zu stärken. Ich würde Sie gerne zum nächsten Pitch-Day einladen, wo Sie sich einen ersten Überblick über unser Angebot verschaffen können.”
“Humbug! Ihr wollt doch nur mein Geld. Und dieser Startup-Hype ist sicher auch bald vorbei.”
“Ok Sir. Ist wohl gerade nicht der richtige Moment. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und einen erfolgreichen Start ins neue Jahr! Für den Fall dass Sie es sich anders überlegen, die Einladung zu unserem nächsten Event steht natürlich.”

Nach einem anstrengenden Tag verläßt Evan das Büro und wirft sich in seinen schwarzen Ford F-350. Beim Betreten des Hauses fällt ihm ein Nokia 3210 auf der Kommode auf. Die Welt war noch in Ordnung, als man beim Warten auf den Flieger die Zeit nicht mit Instagram und Twitter vertrieb, sondern eine Runde Snake spielte.
Wie kommt da so ein altes Mobiltelefon auf die Kommode? War wohl doch etwas anstrengend der Tag heute…
Evan stellt den Sechserpack Bier von Albert in den Kühlschrank. Als er sich umdreht, fährt ihm der Schreck in die Knochen. Vor ihm steht ein mit Ketten behangener Geist. An den Ketten hängen Mobiltelefone mit Tasten und Organigramme.
“Guten Abend Mr. Scrooge, mein Name ist Olli-Pekka und ich bin hier um Sie zu warnen.“
“Vor was wollen Sie mich denn warnen? Vor meinen faulen Mitarbeitern?”
“Nein. Vor dem Untergang ihres Unternehmens durch Bürokratie und mangelnder Innovation.”
“Humbug! Wieso untergehen? Wir sind Marktführer.”
“Das dachten wir auch. Doch dann ging es ganz schnell. Seitdem bin ich dazu verdammt als Geist andere Unternehmer zu warnen. Damit Sie es auch wirklich ernst nehmen, werden Ihnen heute Nacht noch drei weitere Geister erscheinen.”
So langsam werde ich alt. Jetzt sehe ich schon bleiche Skandinavier in Ketten. Ich muss dringend ins Bett.
Der Geist verschwindet so schnell wie er aufgetaucht ist und Evan fällt in einen tiefen Schlaf.

Der Geist der vergangenen Weihnacht

Die Uhr am Echo dot zeigt 1:01 am. Evan wacht auf als jemand an seiner Bettdecke zerrt.
“Hallo Evan! Mein Name ist Henry, der Geist der vergangenen Weihnacht. Komm mit mir auf eine kleine Reise!”.
Evan folgt Henry vor die Tür, wo ein Ford Mustang GT mit gurgelndem Motor auf ihn wartet.
Der Geist fährt mit ihm durch die schneebedeckten Straßen der Wohnsiedlung. Die Fenster sind hell erleuchtet. In einem der Häuser sieht man Evan als jungen Mann an einem Zeichenbrett.
“Oh mein Gott, die Super-Nut. Das war kurz bevor ich es zum Patent angemeldet habe.”

Die beiden fahren weiter zur Nuts-and-Bolts-Street. Auf einer riesigen Baustelle entsteht gerade eine neue Werkshalle. Evan sieht, wie er den Bauarbeitern gerade einen mächtigen Einlauf verpasst. Auf dem Rundgang mit dem Geist betrachten die beiden noch einige Szenen aus Evans früheren Tagen als Unternehmer – Evan beim Einschwören des Vertriebsteams, Überstunden in der Produktion, das erste Werk in Europa. Von Szene zu Szene wird Evans Ton schärfer, die Gesichtszüge härter und man sieht ihn immer öfter alleine.
“Die guten alten Zeiten! Wenn es doch nur wieder so wäre wie früher. Ich will heim Henry.”
Die 450 Pferde bringen Evan in Windeseile wieder nach Hause.

Der Geist der diesjährigen Weihnacht

Kaum war Evan wieder eingeschlafen, schreckt ihn ein Klopfen erneut aus dem Schlaf. Vor der Tür des Schlafzimmers ruft jemand seinen Namen. Als Evan die Tür öffnet erblickt er einen Geist mit einem rot-gelb-grün-blauen Mantel und Propellermütze.
“Hallo Evan, ich bin Sergey, der Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht. Lust auf eine kleine Spritztour?”
“Mir wird wohl nichts anderes übrigbleiben”, grummelt E.Z. Scrooge.
Gemeinsam verlassen die beiden das Haus und steigen in das Auto des Geists ein. Von der Rückbank winken zwei Kinder.
“Ist das ein Cybertruck? Start der Produktion soll doch erst 2021 sein”, fragt Evan.
“Als Weihnachtsgeist bin ich auch für das Erfüllen besonderer Weihnachtswünsche zuständig. Dieses Fahrzeug muss ich morgen nachts jemandem namens Elon in LA zustellen.”
Die beiden machen sich auf dem Weg nach Kanada. Sergey nimmt Evan in Toronto mit auf eine Startup-Safari. Der Besitzer von Nuts&Bolts sieht zum ersten Mal Themen wie Gestenerkennung per maschinellem Lernen, eine Cloud für vernetzte Fahrzeuge und die Nachverfolgung von Kobalt über eine Blockchain.
“Alles Humbug! Wie soll man denn mit solchen Spielereien Geld verdienen?”, frotzelt Evan auf dem Rückweg nach Detroit.

Bevor die beiden das Haus von Evan erreichen, macht der Geist noch einen kurzen Abstecher zum Haus von Marie Curry, die in der IT von Nuts&Bolts beschäftigt ist. Sie sitzt vor Ihrem Laptop und schreibt Softwarecode.
“So fröhlich habe ich Marie schon lange nicht mehr gesehen. Was macht sie denn da?”
“Sie hat kürzlich bei einem Social Innovation Hackathon mitgemacht. Ihr Team hat mit ‘Tinder dir dein Ehrenamt’ den ersten Platz gemacht. Diese App wird nun weiterentwickelt”, weiß der Geist.
“Aha! Scheint ja ordentlich dabei zu verdienen so wie sie strahlt. Dabei kostet sie mir bereits ein Vermögen!”
“Das macht sie rein aus intrinsischer Motivation”, klärt ihn der Geist auf.

Sergey parkt den Cybertruck in der Einfahrt zu Evans Haus und öffnet ihm die Tür.
“Ich hoffe dir hat unser kurzer Ausflug gefallen. Eine Bitte hätte ich noch. Ich habe die beiden Stiefkinder der heutigen Zeit dabei, Komplexität und Überraschungen. Können die bei dir bleiben? Ich muss doch morgen nach LA.”
“Bei mir läuft alles nach Plan und ohne Fehler. Die kommen mir sicher nicht ins Haus.”
Bevor der Geist noch etwas erwidern kann, ist Evan bereits im Haus verschwunden.

Der Geist der zukünftigen Weihnacht

Gerade als Evan zurück in sein Haus möchte, spürt er einen kühlen Windhauch im Nacken. Er dreht sich um. Auf einem schwarzen e-Mountainbike sitzt ein Geist in Jeans, schwarzem Rollkragenpullover und New Balance Sneakers. Er zeigt schweigend auf ein zweites Fahrrad neben ihm. Hier handelt es sich wohl um den Geist der zukünftigen Weihnacht. Evan steigt widerwillig auf das zweite Fahrrad und beide fahren los. Dank des starken Antriebs erreichen sie in weniger als 30 Minuten die Nuts-and-Bolts-Street. Am Firmenschild bröckelt bereits die Farbe ab. Auch das Gebäude des Headquarters hat schon bessere Zeiten gesehen. Der schweigende Geist steigt von seinem Rad ab und gibt Evan ein Handzeichen ihm zu folgen. Als sie das Gebäude betreten kommt Ihnen weinend Marie Curry entgegen. Mit dem Aufzug fahren Sie in das oberste Stockwerk. Evan sieht seinen Assistenten zusammen mit der Pressesprecherin. Am Bildschirm entwerfen sie gerade eine Pressemitteilung:
“Nuts & Bolts schließt zwei weitere Werke – Erneut müssen 1000 Stellen abgebaut werden”
Der Assistent schüttelt den Kopf.
“So viele haben schon versucht mit ihm zu reden. Es gab zahlreiche Ideen für neue Produkte. Kürzlich hatten wir eine Anfrage für Verbindungstechnik für Windkraftanlagen. Aber nein, lieber fokussieren wir auf Effizienz und Kosten reduzieren.”

Der Geist weist Evan den Weg zurück zu den Fahrrädern. Schweigend radeln sie von der Nuts-and-Bolts-Street zurück zu Evans Haus. Als sie in die Einfahrt einbiegen, liegt bereits die Tageszeitung vor der Tür. Der schweigende Geist hebt sie auf und hält ihm mit versteinerter Miene das Blatt vor die Nase. Evan sieht sein Portrait auf der Titelseite und fängt an zu lesen. In einem Interview bemängelt er mangelnde Unterstützung der Politik und dass sein Lebenswerk zerstört ist. Er werde das Unternehmen verkaufen. Schockiert dreht sich Evan zum Geist der zukünftigen Weihnacht um. Doch der Geist ist spurlos verschwunden.

Take it E.Z.

Geschockt von den Erlebnissen geht Evan zum Kühlschrank und nimmt sich eines der Biere von seinem Neffen. “a U” steht auf dem Etikett.
Was das wohl heißt? Achieve Unexpected? Egal, runter damit.
Das kleine Fläschchen war gleich geleert und Evan sprüht nur vor Tatendrang.
“Alexa, welcher Tag ist heute?”
“Heute ist Dienstag, der 24.12. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?”
“Liefere mir bitte das neues Surface Pro per same day delivery in mein Büro. Ach ja, und noch einen dieser hässlichen Weihnachtspullover dazu.”
“Gerne Evan. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?”
“Nein das wäre es für heute Alexa.”
“Schönen Tag. Take it E.Z.!”

Nach einem kurzen Powernap und einer eiskalten Dusche fährt Evan ins Büro. Er trägt sich gleich das Event bei Plug and Pray in den Kalender ein. Mittags lässt er Marie Curry ins Büro kommen.
“Hallo Marie, ich habe erfahren dass du nebenbei Software entwickelst. Stimmt das?”
Marie antwortet kleinlaut. “Ja Chef das stimmt. Sorry, dass ich dir nichts gesagt habe. Mir war gleich klar, dass dir das nicht recht ist.”
“Das geht ja gar nicht…”, wird Evan kurz laut und lacht im nächsten Moment auf, “… dass du mit so einem alten Laptop Software entwickeln musst. Hier für dich. Das neue Surface Pro. Frohe Weihnachten!”
Marie stehen die Tränen in den Augen als Evan sie umarmt.
“Und nach der Weihnachtspause erklärst du mir wie so ein Hackathon funktioniert. Das könnte uns bei Nuts&Bolts vielleicht auch helfen. So jetzt muss ich aber los zu meinem Neffen.”

Er öffnet das Paket mit dem hässlichen Weihnachtspullover. Unter dem Slogan “Make Christmas Great again” ist ein Mann mit orangen Haaren aufgedruckt und katapultiert den Pullover damit ans obere Ende der Hässlichkeits-skala .
Was soll’s. Man darf sich nicht zu ernst nehmen.

Sein Neffe öffnet ihm überrascht die Tür.
“Hallo Onkel. Hast du dir es doch anders überlegt?”
“Frohe Weihnachten Albert. Hast du noch eines von diesen a U? Wir sollten unbedingt nochmal über dein neues Geschäftsmodell reden…”


Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sowie realen Begebenheiten sind rein zufällig oder vielleicht auch voll beabsichtigt. Ich wünsche meinen Lesern ein frohes Weihnachtsfest und einen erfolgreichen Start in 2019. Wenn Du nicht erst nach dem Erscheinen von Weihnachtsgeistern innovativ sein möchtest, abonniere doch einfach meine Flaschenpost. Dort gibt es 14-tägig einen Hinweis auf aktuelle Blogposts sowie einen exklusiven Extranugget.

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