50° 56′ 28.601″ N 6° 57′ 29.812″ E

Cologne

Station 3 der #WandelWeltReise – Ein Gastbeitrag von Sonja Tangermann

Ich lasse die Lautsprecherdurchsage, das Trillern der Pfeife und die knarzend -quietschenden Schienengeräusche hinter mir und trete aus der Halle. Sogleich schlägt mir ein Wind entgegen als ich mich den Treppenstufen nähere. Wie oft bin ich hier hochgegangen, frage ich mich, während mir das Lied von Westerhagen in den Sinn kommt: Ich bin wieder hier! Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke hoch. Die Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht und ich spüre die freudige Vertrautheit in mir aufsteigen. Wie oft habe ich damals mit meiner analogen Kamera versucht die Erhabenheit einzufangen, die einfach nicht auf ein Bild wollte. Erst mit einem Fischauge Objektiv gelang mir eine Aufnahme. Nachdem ich den Hauptbahnhof hinter mir gelassen habe, stehe ich auf der Domplatte und bestaune auf’s Neue den imposanten Kölner Dom. Wie viele Stufen waren es nochmal bis zum Südturm? 383, 533, 739? Ein schneller Blick auf die Internetseiten der Stadt Köln verraten es mir. Es waren 533. Gefühlt waren es für mich weit mehr als die 533 Treppenstufen, um die Spitze in 93 Meter Höhe zu erklimmen. Vor einigen Jahren hat die Fernsehreihe Terra X eine interessante Dokumentation zur Geschichte des Kölner Doms herausgebracht: der Kölner Dom war mal das höchste, das teuerste, das erste in Flutlicht getauchte Gebäude der Welt und ist bis zum jetzigen Zeitpunkt das teuerste Bauwerk in Deutschland. So viele Superlative. Mich fasziniert an der Geschichte des Kölner Doms, dass die Menschen im 13. Jahrhundert mit einem Bau begannen, deren Fertigstellung sie nie miterleben werden würden. Die trotz allem, all ihr Können in die Umsetzung der Idee setzten ohne die Gewissheit zu haben wie die Geschichte ausgehen würde für sie. Es sind Menschen wie Sulpiz Boisserrée, die nach einer 300jährigen Baupause die Vollendung vorantreiben. In seinem unermüdlichen Wirken gewinnt er ein Netzwerk von Unterstützer*innen von Johann Wolfgang von Goethe, den Gebrüdern Grimm über den König Friedrich Wilhelm IV. Sie alle tragen mit ihren Mitteln zur Weiterführung des Baus bei, der 1880 nach einer über 630-jährigen Bauzeit fertiggestellt wurde 

Obwohl ich heute in Berlin sitze, kann ich durch das Projekt des WDR (https://dom360.wdr.de/) einen Fuß in den Dom setzen. Ich stehe im Hauptschiff des Kölner Doms, spüre die Kälte an mir hochkriechen und höre das schallende Echo der Fußtritte um mich herum. Eine durchdringende Kühle, die mir im Sommer Abkühlung schenkte und im Winter die Atemwolken vor mir herwehte. Manchmal saß ich im Hauptschiff auf den Bänken und habe mit mir selbst ein Spiel gespielt. Und zwar schloss ich die Augen und versuchte mir am Klang eines herausstechenden Fußschrittes die dazugehörige Person vorzustellen. Der Kölner Dom ist ein Meisterwerk, der viele Facetten in sich vereint. Auf meiner heutigen Reise picke ich mir diese 3 Punkte heraus: Vorstellungskraft, Ungewissheit, Netzwerk. 

3 in Einem: Vorstellungskraft, Ungewissheit, Netzwerk

Nach den ersten Meldungen aus China konnte ich mir das Ausmaß der Corona Situation wahrlich nicht vorstellen und vielleicht wollte ich es bis zu einem gewissen Zeitpunkt einfach nicht. Als der Kölner Karneval anrückte, kreisten meine Gedanken häufiger als zuvor um die Infektionsgefahr. Ich fuhr trotzdem hin. Kurz danach wurde mein Alltag unter anderem durch das kontinuierliche Arbeiten von Zuhause, der Schul- und Kitaschließung und den Kontaktbeschränkungen herumgewirbelt. 

Wie sich die nächsten Wochen entwickeln werden ist nicht mit Gewissheit zu sagen. Die Situation ist zeitgleich für jeden ein Lernfeld für den Umgang mit Dynamik und Unsicherheit in seiner je individuellen Varianz. So erlebe ich in diesen chaotischen Zeiten wie z.B. Unternehmen nun Softwareprogramme für das Arbeiten von zu Hause anschaffen, neue digitale Tools erprobt und Aktionen initiiert werden, die ansonsten wochenlang auf dem Prüfstand stehen. Vielmehr steht das #Einfachmachen mit den vorhandenen Möglichkeiten im Vordergrund. Es geht darum ins forschende Handeln zu kommen, einen Schritt nach dem anderen zu machen mit den Fähigkeiten, Kompetenzen und Mitteln, die einem Unternehmen und jeder einzelnen Person zur Verfügung stehen. In Zeiten der Ungewissheit ermöglicht die Frage „Was kann ich tun?“ den Blick auf die eigenen Handlungs- und Möglichkeitsoptionen zu richten.

Eine Freundin schickte unserer Messaging Gruppe ein Musikvideo zu, dass mir eine Gänsehaut beim Abspielen bescherte und mein Herz zusammenzog. Das Lied hat mich von je her berührt, doch diesmal hatte ich eine Träne im Auge. Unterschiedlichste Musiker*innen haben sich zusammengetan und jeweils von ihrem Ort aus gemeinsam das Lied „In unserem Veedel“ eingesungen. Im Refrain wird der Zusammenhalt besungen: 

Wat och passeet,
Dat eine es doch klor.
Et Schönste, wat m’r han,
Schon all die lange Johr,
Es unser Veedel,
Denn he hält m’r zosamme
Ejal, wat och passeet,
En uns’rem Veedel.

Was auch passiert,
das eine ist doch klar:
Das Schönste, was wir haben,
all die vielen Jahre schon –
ist unser Stadtviertel.
Denn hier hält man zusammen.
Egal, was auch passiert –
in unserem Stadtviertel

Veedel (Stadtviertel) ist für mich dabei kein abgegrenzter geographischer Raum. Und auch das Video zeigt, der Veedel kann überall sein. Dieser Raum kann einem Netzwerk gleichen, der lose oder enge Verbindungen aufweist. So stehe ich dank der Kita Software Kigaroo weiterhin mit dem Netzwerk unserer Fröbel-Kita in Verbindung und bin zu tiefst gerührt, wenn uns erneut eine Nachricht oder ein Video des Kita Teams erreicht. Wir erhalten Kreativ -Anregungen, ein Erzieher a la Professor Schlaufuchs lädt uns zu einem Versuch ein oder wir lauschen einem selbstkomponierten Lied, indem über „ich vermisse den Trubel und euch alle sehr.“ gesungen wird. Selbst aus der Ferne schaffen sie Verbundenheit und regen durch ihre liebevollen Nachrichten zum Zusammenhalten auf.

Im berlinerischen Kiez (Stadtviertel) komme ich auf dem Weg zum Supermarkt an „unserem“ abgesperrten Spielplatz vorbei. Hier hängen nun Lebens- und Sachmittel für bedürftige Menschen am sogenannten „Gabenzaun“. Ebenso sehe ich Zettel im Wind an den Bäumen wehen, an denen Hilfe für die alltäglichen Aufgaben zu Hause angeboten wird. Und im Supermarkt hängt am „schwarzen Brett“ das Angebot den Einkauf für andere Personen zu übernehmen. 

Gabenzaun Berlin
Gabenzaun Berlin
Stay Home in Berlin
Stay Home in Berlin
Lebensmittel am Gabenzaun Berlin
Lebensmittel am Gabenzaun Berlin
Buecherbank Berlin
Buecherbank Berlin

Auch in den sozialen Netzwerken wie z.B. Twitter wird Hilfe angeboten: Sei es die Übernahme des Einkaufs, der Austausch in der virtuellen Bar, kostenfreie Coaching- oder Sprechstundenangebote wie z.B. das von Inga Höltmann zu Fragen & Anliegen rund um das Home Office und die Neue Arbeit 

Das Netzwerk New Work Women hat kurzfristig einen virtuellen Stammtisch ins Leben gerufen und bietet damit nicht nur thematische Impulse wie z.B. „Storytelling in Krisenzeiten“ an, sondern auch eine Möglichkeit sich untereinander zu vernetzen, um informell voneinander zu lernen. Um die „Macht des Zuhörens“ geht es im nächsten Stammtisch.

Alles Menschen, die mit ihren Mitteln und Fähigkeiten etwas Gutes bewirken möchten. Es ist diese Bereitschaft, von der „In unserem Veedel“ gesungen wird, zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu unterstützen, die mich in diesen Zeiten ermutigt. Und noch nie zuvor habe ich zudem so viele Gifs, Videos und Fotos als kreativen Ausdruck mit der derzeitigen Situation erhalten wie jetzt. Bei einigen habe ich so herzlich gelacht und Lachen gibt mir Kraft. 

Mit einem herzlichen Lächeln auf dem Gesicht möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die mich, dich, uns, mit ihrem Beitrag stärken, zusammenbringen oder zum Lachen anregen. Die Frage „Was kann ich machen?“ steht im Raum – vielleicht nimmst du uns mit auf deine #WandelWeltReise, vielleicht verschickst du Postkarten an Menschen in Altersheimen oder an deine Freunde und die Familie, vielleicht schenkst du anderen dein Ohr, vielleicht spendest du Geld für eine Charity Kampagne oder unterstützt die lokalen Händler*innen …. lass deiner Vorstellungskraft freien Lauf und gestalte mit.

Ich verabschiede mich von meiner Reise mit dem Lied Zusammenstehen von Sebel:

https://youtu.be/CEU2RKt73U0

Bildquellen:

Title Photo by Kira auf der Heide on Unsplash
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