Schatzkiste 136 – Führung

  • von
Schatzkiste136

SNAFU! Das waren die Worte meines ehemaligen General Managers, wenn ich ihn gefragt habe wie es läuft. Das Akronym SNAFU kommt aus dem Militär und steht für „Situation Normal, All Fucked Up“. SNAFU ist auch der gemeinsame Nenner der drei Nuggets zum Thema Führung, die ich in die Schatzkiste 136 gepackt habe. Alle drei beschreiben das Versagen von Führung. Teilweise ist der Adressat die Politik, aber die Muster lassen sich genauso gut in Unternehmen beobachten. Obwohl Führung also vielerorts im Argen liegt, ist es mittlerweile (?) Normalzustand – Situation normal. Sollen wir uns damit abfinden, weil es sich halt nicht ändern lässt? Oder gibt es Alternativen? Das möchte ich in der aktuellen Schatzkiste ergründen.

Nugget #1 – Die Mechanismen der Angst

5 min

📄

🇩🇪

Marcus Raitner, der den Schatzkisten-Lesern unter anderem aus Schatzkiste 116 bekannt ist, hat ein ganz heißes Eisen angepackt – die Corona-Pandemie. Genauer gesagt geht es um die Leistung der Führungsmannschaft unseres Landes. In den Kommentaren zum Post bilden sich sofort die aktuell üblichen Lager. Ich möchte allerdings in dieser Schatzkiste weder über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen noch über Politik schreiben. Wäre Deutschland ein Unternehmen auf kununu, würde ich den Regierungsvertretern allerdings auch keine fünf Sterne für Vorgesetztenverhalten geben. Denn Angst ist nun mal kein guter Begleiter in schwierigen Zeiten. Die Muster die wir gerade in der Deutschland GmbH beobachten können, finden sich übrigens auch in Unternehmen. Und da möchte ich näher drauf eingehen.

Fear is the path to the dark side

Fear is the path to the dark side … fear leads to anger … anger leads to hate … hate leads to suffering.

Yoda

Marcus Raitner nutzt in seinem Beitrag das Zitat des Jedi-Großmeisters Yoda. Den Teufelskreis den der grüne Zwerg da beschreibt, habe ich selbst schon mehrfach beobachten können. Teilweise war ich sogar Teil des Systems das Angst verbreitet hat. Dies hat vielleicht nicht unbedingt zu Hass geführt, aber Ärger war jede Menge dabei. Geschadet hat es den Organisationen in Form von fehlender Motivation und Produktivität ebenfalls.

  • Zum einen wäre da das Thema Performance Management und Jahresendgespräche. Das Stack Ranking von Jack Welch ist noch lange nicht tot. So dürfen sich in manchen Unternehmen am Ende des Jahres Mitarbeiter über eine Eintrittskarte zum Club der „Bottom 10%“ oder die Auszeichung zum „C Player“ freuen. Dieses System versucht über Angst eine Organisation zur Hochleistung zu motivieren. Man muss kein Jedi-Großmeister sein, um zu erkennen, dass dies eher eine schädliche Führungspraxis ist.
  • Weniger dramatisch kommt auf den ersten Blick die Unternehmenskommunikation in Krisenzeiten daher. Die Belegschaft über Rückgang im Umsatz, schwache Auftragslage und zu hohe Personalkosten zu informieren, macht grundsätzlich auch Sinn. Trotzdem verursacht auch das Ängste. Ist mein Arbeitsplatz sicher? Wie lange geht das hier noch gut? Ängstliche Mitarbeiter fahren mit angezogener Handbremse und werden Entscheidungen eher meiden. Das kann die Lage zusätzlich verschlimmern.
  • Aber auch positive Themen und Innovationen können Ängste verursachen. Wenn ein Algorithmus repetitive Aufgaben übernimmt, ist das für mich persönlich ein Highlight. Andere fürchten sich aber um den Verlust von Arbeitsplätzen. Im schlimmsten Fall sogar den eigenen.

Was kann man nun tun, um den Teufelskreis des Yoda aufzubrechen? Im ersten Schritt ist es wichtig die Angst sichtbar zu machen. Das braucht Vertrauen (mehr dazu in Nugget #2). Am ehesten ist das noch im eigenen Team vorhanden. Wie wäre es mit der Frage „Was macht uns Angst“ in der nächsten Retrospektive oder als Check-in fürs nächste Teammeeting?

Diversität und Dissens mehr als Konformität und Konsens

In den Kommentaren des Artikels antwortet Marcus Raitner mit einer These aus dem Manifest für menschliche Führung: Diversität und Dissens mehr als Konformität und Konsens. Ok, das mit der Diversität haben mittlerweile einige begriffen. So ein Vorstand von Männern im Alter von 45 bis 60 Jahren repräsentiert nur einen kleineren Teil der gesamten Belegschaft. Aber warum sollten wir Dissens über Konsens stellen? Ist es nicht wichtig, dass alle das gleiche Verständnis haben und an einem Strang ziehen? Grundsätzlich schon. Nur wenn alle am gleichen falschen Strang ziehen, wird das Ergebnis eher weniger erfreuen. Gerade in komplexen Situationen, wo noch kein Wissen existiert ist Diversität und Dissens daher wichtig.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Karl ist Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens. Um das Produktportfolio zu erweitern, hat er eine Innovationskampagne ausgerufen. Die Idee eines Mitarbeiters verursacht überall Kopfschütteln. Das braucht kein Mensch! Ein Mitarbeiter mit indischen Wurzeln widerspricht. Er ist sich ziemlich sicher, dass das Produkt in seiner Heimat ordentlichen Absatz erzeugt. Zum Glück muss in Karls Unternehmen niemand Angst haben, eine andere Meinung zu äußern. Anderenfalls würde die Geschichte ausgehen, wie das Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern.

Was kann man denn nun konkret tun, für Dissens mehr als Konsens? Schlag doch mal vor, bei der nächsten Entscheidung auf den Konsens zu verzichten. Seid offen für Widerstände und probiert einen Konsententscheid. Oder such dir für deine Entscheidungen bewusst den Dissens in Form eines Advocatus Diaboli.

Anführer hervorbringen mehr als Anhänger anführen

Durch den Dissens ist mir noch eine weitere These aus dem Manifest für menschliche Führung eingefallen, die wunderbar in dieses Jahr voller Krisen (Halbleiter, Corona, Rohstoffe, …) und in diese Schatzkiste passt. Wie oft wurde in deiner Organisation der Ruf nach Führung laut? Kann jetzt bitteschön mal einer sagen, was zu tun ist? Kann jetzt endlich mal jemand durchgreifen? Die Rufe wurden erhört und für mich ist Taskforce heißer Anwärter in meiner persönlichen Hitliste zum Wort des Jahres 2021. Menschen in gehobenen Positionen mit ausreichend Macht sind also doch zur Stelle, wenn man sie braucht.

Nur die wenigsten haben es allerdings geschafft ihre Anhänger zu begeistern. Oder habe ich die jubelnden Groupies vor der Kultusministerkonferenz verpasst? Warum rufen wir dann trotzdem nach den starken Anführern, obwohl die Ergebnisse eher mittelmäßig sind? Weil wir uns nach Sicherheit und Orientierung sehnen. Zu dumm, wenn uns die Anführer diese Sicherheit und Orientierung selber nicht geben können. Sie wissen es ja auch nicht, müssen aber so tun als ob.

Vielleicht wäre es an der Zeit, es mal mit der These „Anführer hervorbringen mehr als Anhänger anführen“ zu versuchen. Statt „Da entlang!“ würden die Anführer mit ihren Anhängern daran arbeiten, den Weg selbst zu finden. Sie würden ihren Anhängern die Angst vor Holzwegen nehmen. Was kannst du also konkret tun, wenn du der Anführer bist, den alle nach dem Weg fragen? Lade die Menschen ein, gemeinsam einen Weg zu finden. Das Cynefin-Framework kann dabei gute Hilfe leisten und die Unsicherheiten sichtbar machen. Im Handbuch der Entscheidungen haben wir ein ganzes Kapitel dazu. Abonnenten von managerseminare finden einen Artikel in Heft 280.

Die Mechanismen der Angst

Nugget #2 – Vertrauen verspielt

8 min

🎞️

🇩🇪

Auch Lars Vollmer nimmt sich die Politik zur Brust. Im Video zeigt er auf, wie durch Schlampigkeit in der Führung Vertrauen verspielt wird. Gerade in komplexen Situationen und unsicheren Zeiten ist Vertrauen eine wichtige Währung. Aber nicht nur in der Politik wird durch Schlampigkeit Vertrauen verspielt. Auch in Unternehmen wird diese wertvolle Zutat für schwierige Zeiten leichtfertig verdaddelt. Beispiele gefällig? Here we go:

  • Wenn der Chef verspricht, sich um etwas zu kümmern und es dann doch nicht tut. Passiert mir selbst häufiger. Entweder weil ich mir etwas nicht in meine ToDo-Liste geschrieben habe oder weil ich mein verfügbares Zeitbudget nicht realistisch eingeschätzt habe.
  • Wenn eine getroffene Entscheidungen nach kurzer Zeit wieder revidiert werden muss, ist das erst mal nichts Ungewöhnliches. Gerade in komplexen Situationen kann das oft vorkommen. Trotzdem geht Vertrauen verloren, wenn plötzlich die Rolle rückwärts gemacht wird und Versprechen nicht mehr gehalten werden können. Durch weniger Schlampigkeit in der Kommunikation lässt sich das leicht lösen. Statt „Es wird keine Impfpflicht geben“ könnte man ja auch kommunizieren „Wir haben uns aktuell gegen eine Impfpflicht entschieden, weil es nicht ausreichend Daten zur Wirksamkeit gibt. In sechs Monaten schauen wir uns diese Entscheidung noch mal an.“ Statt „Es wird keine weiteren Einsparmaßnahmen geben“ würde man kommunizieren „Die nächsten sechs Monate können wir ohne weitere Einsparmaßnahmen gut überleben. Dann müssen wir die Lage neu bewerten.“.
  • Noch größere Schlampigkeit ist allerdings gar keine Kommunikation. Manchmal passiert das, weil man nicht genug Wissen hat. Erst mal Zahlen, Daten, Fakten sammeln. Wie wäre es mit der Einladung zum gemeinsamen Weg finden (siehe Nugget #1) statt mit der Kommunikation zu warten, bis man weiß wo es lang geht?
    Manchmal befürchtet man auch, dass ein bestimmter Sachverhalt von den Leuten nicht verstanden wird. Dann sollte man das als Gelegenheit nutzen, um seine Leute aufzuschlauen und Kompliziertes einfach zu erklären. Oder ist es vielleicht ein Indiz dafür, dass das Thema selbst noch nicht wirklich verstanden wurde?

Wo wurde in deinem Unternehmen mal leichtfertig Vertrauen verdaddelt?

Nugget #3 – Das erschöpfte Unternehmen

4 min

📄

🇩🇪

Nicht um Politik geht es im Artikel von Sabine Kluge. Sie beschreibt ihre Erlebnisse aus einem Führungskräfteworkshop. Zweimal habe ich das Wort Angst gezählt. Führung und Angst – passt perfekt in diese Schatzkiste. Gestolpert bin ich über die folgende Aussage eines Teilnehmers:

Und immer wieder nehme ich wahr, dass unser Top-Management zwar Entscheidungen trifft, sich aber um dieses immer weiter Auseinanderdriften von Strategie und den Mitteln und Möglichkeiten der Umsetzung auf unserer Ebene keine Gedanken macht. Spreche ich mit dem CEO, vermittelt er mir unmissverständlich: Dafür haben wir euch zu Führungskräften gemacht.

Zitat eines Teilnehmers im Führungskräfteworkshop

Da hat ein CEO offensichtlich das „Manifest für menschliche Führung“ missverstanden. Na gut, ich bezweifle dass er es überhaupt gelesen hat. Aber so war das mit dem „Anführer hervorbringen“ nicht gemeint. Denn scheinbar sind hier die Leitplanken so eng, dass die Führungskräfte überhaupt keinen Weg finden. Der Dialog erscheint mir auch nicht besonders ausgeprägt.

Was mich aber am meisten fuchst, ist das Thema Entscheidungen. Meine Rückschlüsse sind zwar in ein paar wenige Zeilen Zitat hineininterpretiert, dennoch habe ich ähnliche Situationen schon selbst erlebt. Ich sehe drei mögliche Ansätze wie man hier Entscheidungen verbessern kann:

  1. Konsultativen Einzelentscheid nutzen
    Werden Betroffene konsultiert, dann steigt das Commitment für die Entscheidungen. Selbst wenn wie hier das Commitment vermeintlich da ist, hilft es wenig wenn hinterher die Umsetzung nicht funktioniert. Die wenigen Stunden zusätzlich, um die umsetzenden Menschen zu konsultieren, sind es in meinen Augen definitiv wert.
  2. Konsententscheid nutzen
    Noch besser wäre es natürlich, direkt Widerstände im Entscheidungsprozess zu integrieren. So wird die avisierte Lösungsoption direkt verbessert. Eine Widerstandsmessung geht auch mit größeren Gruppen und digital in einem Umfragetool. Die Menschen mit dem größten Widerstand dürfen Feedback geben, wie man die Lösungsoption verbessern kann. Entweder macht man das synchron während des Entscheidungsmeetings. Geht aber auch asynchron, indem die Menschen ihr Feedback schriftlich im Umfragetool geben.
  3. Prinzipien von Effectuation anwenden
    Auf der Hand liegt natürlich das Prinzip der verfügbaren Mittel. Statt einen Endzustand vorzugeben und die Organisation die nötigen Ressourcen auftreiben lassen sucht man nach einer Lösung, die mit den verfügbaren Mitteln (Zeit, Geld, Menschen) möglich ist. Aber auch der leistbare Verlust kann hier dienlich sein. Gemeinsam als Organisation bestimmen, was der leistbare Verlust ist, könnte einige Augen öffnen. Der CEO meint vielleicht, dass da noch hunderte von Stunden drin sind. Für die Menschen in den Teams, ist vielleicht schon das Minimum erreicht. Auch hier könnte wieder ein simples Umfragetool helfen.

Falls jemand aus dem von Sabine Kluge erwähnten Unternehmen zufällig auf diese Schatzkiste stößt, würde ich mich übrigens über Austausch freuen.

Das erschöpfte Unternehmen