Schatzkiste 131 – Marie Kondō für Wirtschaft

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Die Idee für die Schatzkiste 131 ist schon ein paar Wochen alt. Am 5.12.2020 spülte es diesen Tweet von Carolin Peinecke in die Bucht des CompanyPirate:

Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los. Wir brauchen eine Marie Kondō für Wirtschaft. Die Frage „Does it spark joy?“ muss ich für viele der Modelle und Praktiken in Unternehmen leider mit Nein beantworten. Vielleicht ist Carolin Peinecke die Mario Kondo für Wirtschaft und die Frage lautet „Hat das Sinn oder kann das weg?“.

Die Schatzkiste 131 ist nicht nur von der zeitlichen Länge der Nuggets ein ganz schön dickes Brett. Auch das Schreiben hat gefühlt so lange wie nie gedauert. Ich hoffe die Impulse beschäftigen auch deine Gehirnwindungen so lange wie meine. Ganz egal ob es die Thesen der fünf Ökonominnen, der MotCast oder die Paneldiskussion über Innovationsökosysteme ist. Es gibt so viele neue Wege zu erkunden. Höchste Zeit, eine Menge alter Praktiken auf den Komposthaufen der Wirtschaft zu legen, damit wir mit leichtem Gepäck die Reise beginnen können.

Nugget #1 – Welche fünf Wissenschaftlerinnen denken Wirtschaft neu?

20 min

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Der Artikel von Antje Schrupp vom Deutschlandfunk war der Impuls im Anfangstweet und mein Einstieg ins Thema. Ich habe mir drei Thesen herausgepickt, die besonders mit mir resoniert haben. Von den dazugehörigen Urheberinnen gibt es noch viel mehr an Publikationen und Vorträgen, die in meinem creative Backlog gelandet sind. Es wird mich also noch eine Weile beschäftigen.

Der Fleck der unbezahlten Arbeit

Was nichts kostet, ist auch nichts wert.

– Albert Einstein

Dieses Zitat hat wohl jeder schon mal gehört. Kate Raworth hinterfragt es aber zurecht. Denn viele Mütter und glücklicherweise immer mehr Väter kochen, putzen, waschen und kümmern sich in den letzten Wochen auch um die Betreuung ihrer Kinder. Das Ganze natürlich für 0 EUR. Ist diese Arbeit also nichts wert? Zum Glück hält sich nicht jeder sklavisch an diesen Satz. Sonst gäbe es keine Freiwilligen Feuerwehrleute, Trainer:innen im Sportverein und Sanitäter:innen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ich engagiere mich seit Kurzem ehrenamtlich bei der Offenen Werkstatt Bamberg, was mich zur nächsten These bringt.

Gebrauchsgüter gemeinsam nutzen statt einzeln zu besitzen

Dies ist nur eine der interessanten Thesen der Venezolanerin Carlota Pérez. Dass viele Ressourcen endlich sind, dürfte kein großes Geheimnis mehr sein. Wir sind mittlerweile auch für den CO2-Fußabdruck einzelner Güter sensibilisiert, auch wenn es gar nicht so leicht ist diesen zu berechnen. Ich bin nicht nur deswegen ein großer Fan der Sharing Economy. Das fängt im Kleinen an, wie zum Beispiel das Teilen eines Schneeschiebers mit den Nachbarn. Wir teilen uns meist auch das Räumen, so muss immer nur einer früh aufstehen. Und es geht bei großen Gegenständen weiter, die man nicht so regelmäßig braucht. Eine Bandsäge könnte ich mir gar nicht in den Keller stellen. Umso mehr macht es Sinn derartiges in einer offenen Werkstatt zu nutzen. Weiterer Vorteil ist es, sich gegenseitig mit Rat und Tat weiterhelfen.

Eigentlich kann man die Sharing Economy doch auch auf Unternehmen weiterdenken? Klar gibt es heute für viele Assets Leasingmodelle und Leihangebote. Ich denke aber an echtes Teilen. Warum nicht die Betriebskantine für benachbarte Firmen öffnen? Der Austausch über Unternehmensgrenzen kann mit Sicherheit nicht schaden. In meinen Beitrag Krumme Dinger habe ich 20219 schon mal in Richtung Sharing Economy gedacht. Das Thema Krise ist heute aktuell wie nie zuvor. Firmen, die ihre Mitarbeiter in Zeiten der Krise in Kurzarbeit schicken, könnten diese mit Unternehmen teilen, die gerade Bedarf haben. Aber wahrscheinlich braucht es dafür erst Lösungen, wie man das alles verbucht und einen rechtlichen Rahmen. Oder gibt es das schon?

Modern Monetary Theory – Einfach Geld drucken?

Am meisten irritiert hat mich übrigens der Vorschlag von Stephanie Kelton. Sie schlägt vor, dass der Staat einfach so viele Jobs schafft, dass jeder eine Anstellung hat. Stellt sich natürlich die Frage, wer das alles bezahlt. Einfach Geld drucken ist die Devise der Modern Monetary Theory. Was erstmal wie ein schlechter Witz klingt, ist auf den zweiten Blick gar nicht so eine dumme Idee. Denn erstens propagiert die Theorie nicht stupides Geld drucken, sondern selektiv in Bereichen, die nicht schon auf Hochtouren laufen. Ich finde die Theorie wäre ein Experiment wert. Aktuell gibt es ja ein paar Bereiche in denen es mehr Personal gebrauchen könnte – in der Pflege, in den Schulen und auch in den Gesundheitsämtern. Warum nicht das aktuelle Personal adäquat bezahlen und noch ein paar Stellen ausschreiben? Vielleicht würde so die eine oder der andere statt Kurzarbeit mal befristet in einen neuen (oder auch alten) Beruf wechseln?

Wie fünf Ökonominnen Wirtschaft und Politik neu verbinden

Nugget #2 – Wo werden Wirtschaft und Unternehmen weitergedacht?

80 min

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Ingo Stoll ist ein regelmäßiger Nuggetlieferant für die Schatzkisten. Die MotCast Folge 112 mit Jens Hollmann über die „Transformation der Beratungsindustrie“ hatte ich zuerst ausgelassen. Im Nachhinein bin ich allerdings dankbar, dass Gitta Peyn auf LinkedIn noch mal eine Empfehlung dafür aussprach. Denn die Folge ist eben nicht nur für Menschen in der Beratungsbranche interessant. Vielmehr ist die Folge auch ein Diskurs über Ökonomie und die Transformation der gesamten Wirtschaft. Die vielen Impulse aus diesem Interview hallen noch immer bei mir nach. Diese Schatzkiste ist die perfekte Gelegenheit meine Gedanken zu verschriftlichen und hoffentlich auch einen Dialog in Gang zu bringen.

Brauchen wir neue Bildungseinrichtungen?

Wie sehr wird Wirtschaft eigentlich in den Bildungseinrichtungen weitergedacht? Laut Jens Hollmann geben die Wirtschaftswissenschaften leider kein so positives Bild ab. Bei genauerem Hinsehen gibt es allerdings auch einige Lichtblicke, wie die fünf Wissenschaftlerinnen aus Nugget #1 beweisen. Die von ihm genannte Cusanus Hochschule denkt offensichtlich auch etwas radikaler. Falls du nach der Folge 112 noch etwas Futter brauchst, dann kannst du gleich mit Folge 117 weitermachen. Die Gründerin Prof. Dr. Silja Graupe beschreibt darin, wie sie die vorherrschende Denke in den Wirtschaftswissenschaften aufbricht.

Aber auch jenseits der Hochschulen gibt es Bildungseinrichtungen, die neu- und weiterdenken. Spontan fällt mir die Shiftschool ein, zu der es vor Kurzem auch eine Spezial-Schatzkiste gab. Ich könnte mir aber auch normale Schulen mit wirtschafts-wissenschaftlichem Zweig als Think Tanks für eine neue Wirtschaft vorstellen. Wenn Jugendliche an Gymnasien, Real- und Wirtschaftsschulen sich für diesen Weg entscheiden ist das Interesse für Ökonomie vorhanden. Gleichzeitig haben sich die vorherrschenden Glaubenssätze der Wirtschaft noch nicht so tief eingebrannt. Gleichzeitig hoffe ich, dass die Erkenntnisse aus der Bildung auch schnell den Weg in die Unternehmen finden.

Wo sind Raum und Zeit zum Unternehmen weiterdenken?

Wie sieht es in den Unternehmen aus? Wie viel wird dort Wirtschaft oder zumindest das eigene Unternehmen weitergedacht? Jens Hollmann beobachtet, dass viel Denk- und Kreativarbeit an Externe vergeben wird. Eigentlich hat man die Menschen dafür schon im Unternehmen. Das hat mich ins Grübeln gebracht. Wie viel meiner wöchentlichen Arbeitszeit verbringe ich eigentlich mit Kreativarbeit und dem Weiterdenken des Unternehmens? Ist es nicht so, dass wir uns im schnell drehenden Karussell der Regeltätigkeit regelmäßig mit der erstbesten Idee zufrieden geben? Und dann hetzen wir zur Umsetzung. Wir haben ja keine Zeit.

Was bräuchte es an Formaten, um dem Denken und der Kreativarbeit in Unternehmen mehr Raum zu geben? Ich glaube wir brauchen mehr Initiativen in der Art des Innovation Club, die Menschen quer durchs Unternehmen zum Denken und Kreativ sein zusammenbringt. Vorher müssen aber in manchem Unternehmen noch das Verständnis von Arbeit reifen. Denn Denk- und Kreativarbeit sind eben nicht nur Spinnerei und Zeitvertreib, sondern auch Arbeit und überlebensnotwendig.

Miteinander weiterdenken

Vielleicht ist es aber auch gar nicht so leicht das eigene Unternehmen selbst weiterzudenken. Gerade wenn die Menschen schon lange im Unternehmen sind, fällt es schwer die vorhandenen Denkmuster aufzubrechen. Genau dafür holt man sich dann auch die Hilfe der Beratungsindustrie. Oder man macht eine Lernreise. In der Folge wurde Freitag Taschen in der Schweiz genannt, die ein beliebtes Ziel zum Thema Holocracy sind. Das hat mich an die Startup-Safaris erinnert, die in Verruf geraten sind. Denn oft wurden einfach nur Praktiken und Methoden im Reisegepäck mitgebracht. Die hippe Einrichtung wie im Startup und ein Business Model Canvas machen aber noch lange kein neues Geschäftsmodell. Die Gefahr des Cargo-Kults ist hoch.

Warum denken nicht mehr ihr Unternehmen, ihre Branche oder die ganze Wirtschaft miteinander weiter? Dafür braucht es noch nicht mal jemand, der das schon gelöst hat. Es reicht ja schon, wenn sich ein paar mit der gleichen Fragestellung zusammentun. Ist es der fehlende Mut offen über die eigenen Schwächen und Probleme zu sprechen? Oder liegt es am Kartellrecht und der Furcht vor Strafen? Oder fehlt einfach die geeignete Plattform. Ich hatte vor einigen Monaten mal die Idee für eine derartige Plattform namens CompanyDating. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, die Idee wieder aufzugreifen. Melde dich gerne bei mir, wenn du hier Feedback hast.

112: Jens Hollmann Walk the Talk? Die Transformation der Beratungsindustrie

Nugget #3 – Warum brauchen wir Innovationsökosysteme?

100 min

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Miteinander Wirtschaft weiterdenken, darum ging es auch auf der #NEO20x. Die Next Economy Open ist eine virtuelle und dezentrale Konferenz von Gunnar Sohn. Auch er war schon mal Nugget-Lieferant. Allerdings liegt die Schatzkiste 43 schon fast drei Jahre zurück. Es war also höchste Zeit, mal wieder bei ihm räubern zu gehen. Ins Netz gegangen ist mit 100 min Video ein richtig dicker Nugget. Ich bin mir sicher, Innovationsökosysteme werden nicht für mich die nächsten Jahre immer relevanter. Grund genug der virtuellen Podiumsdiskussion zu folgen und mir ein paar Gedanken zu machen.

Was können wir vom Vorbild der Natur lernen?

Der Begriff des Ökosystems kommt aus der Natur und wurde erst später auf die Wirtschaft übertragen. Was können wir also von den natürlichen Ökosystemen für Innovationsökosysteme lernen?

  • Vom Ökosystem Wald können wir viel über das Wachstum und Krisen lernen. Auch im Wald will erstmal jeder Baum wachsen. Allerdings geschieht das nicht auf Kosten anderer. Denn in der Krise wird der Wettbewerb eingestellt. In Was wäre wenn… hatte ich mich damit näher beschäftigt. Der Baum der am meisten gibt, gewinnt übrigens im Wald den Wettbewerb. Das wäre doch auch ein gutes Prinzip für Innovationsökosysteme!
  • Das zweite Ökosystem das mir in den Kopf gekommen ist, ist die Wildwiese. Eine Wildwiese ist Heimat für Bienen und viele andere nützliche Tiere. Außerdem ist sie recht anspruchslos. Was sind die beiden Erfolgsfaktoren? Zum einen sicherlich die Diversität der Pflanzen und Arten. Es ist eben nicht nur Rasen, sondern viele verschiedene Gräser und Heilpflanzen. Genau diese Diversität braucht es meiner Meinung nach auch in Innovationsökosystemen. Außerdem braucht die Wildwiese einen eher mageren Boden, denn sonst wächst das Gras schnell und verdrängt die anderen Pflanzen. Das könnte auch ein Erfolgsfaktor für Innovationsökosysteme sein – knappe Ressourcen. Denn so können auch die kleinen Player im Innovationsökosystem Fuss fassen. Eines braucht man aber – etwas Geduld. Denn die Wildpflanzen haben ihr eigenes Tempo. Das dürfte auch für Innovationsökosysteme gelten.
  • Von der Natur können wir auch lernen, dass Ökosysteme komplex und nicht planbar sind. Nicht jeder Samen geht auf. Pflanzen gehen auch mal ein. Und wenn im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen, sind sie gleichzeitig aber der Dünger für das Neue das wächst. Vielleicht sind das zwei weitere Aspekte für Innovationsökosysteme. Zum einen geht es darum viele Ideen zu säen, denn lange nicht jede geht auf. Zum anderen, kann aus dem Scheitern auch etwas Neues entstehen.

Wie entstehen eigentlich Innovationsökosysteme?

Auch hier habe ich mir mal angeschaut, wie in der Natur Ökosysteme entstehen. In einer Initialphase geschieht eine Besiedlung durch Pionierarten. Das können Moose oder Flechten sein. Sie bereiten den Boden für weitere Arten und Teilnehmer des Ökosystems. Irgendwie hat mich das an Graswurzelinitiativen erinnert. Auch dort gibt es eine kleine Gruppe von First Movers, die den Boden bereiten für weitere Anhänger.

Eine Art Graswurzelbewegung ist der #UFSI21 – der Upper Franconia Innovation Summit. Als ich in 2020 dank Covid19 und dem Tipp von Nadja Obenaus den Hamburg Innovation Summit remote besuchte, reifte in mir der Wunsch etwas Ähnliches für den Raum Oberfranken zu veranstalten. Mit dem digitalen Gründerzentrum Lagarde1 und Andrej Dering waren schnell erste Mitstreiter gefunden. Mittlerweile ist eine stattliche Anzahl von Mitwirkenden aus allen Teilen Oberfrankens zusammengekommen. Ich glaube hier entsteht gerade ein lebendiges Innovationsökosystem und hoffe wir kreieren gemeinsam eine bunte Wildwiese, die viele wirksame Pflanzen hervorbringt.

Innovationsökosystem als Treiber für kleine Wirtschaftswunder?

An der Session der NEOx hat mich übrigens gestört, dass nur die Männer diskutiert haben. Dabei war eine Frau in der Runde zugeschaltet. Na gut, dann musste ich eben selbst herausfinden, was sie beizutragen hat. Birgit Eschbach hat im Sommer 2020 eine Tour durch Deutschland gemacht. Innerhalb sechs Wochen hat sie dabei 25 Regionen besucht und dabei regionale Netzwerke gefunden, die das Zeug zum Wirtschaftswunder haben. So bin ich auf das Ökosystem Ostwestfalen-Lippe gestossen, das dem Bild der Wildwiese sehr nahe kommt. Einblicke in die von ihr besuchten Regionen gibt es übrigens im Wirtschaftswundertalk Podcast, der mittlerweile auf meiner Podroll gelandet ist.